Punch & Judy in Afghanistan

Seit 1983 ist das Stuffed Puppet Theatre des gebürtigen Australiers und Wahl-Niederländers Neville Tranter fast bei  jedem Figurentheater Festival dabei. Und seit langem wirkt dieses Puppenspiel aus den Niederlanden als Magnet aufs Publikum. Auch diesem Jahr wartet Tranter mit einem bitterbösen und virtuos gespielten Stück auf: Punch & Judy in Afghanistan. Martina Fries und Michael Liebler haben sich das Figurenspiel am Sonntag im Erlanger Theater in der Garage angesehen.

In Erlangen findet gegenwärtig wieder einmal das Figurenthaterfestival statt. Seit 1983 ist das Stuffed Puppet Theatre des gebürtigen Australiers Neville Tranter dort beinahe Stammgast und Publikumsmagnet. Auch in diesem Jahr ist er mit einem eigenen Stück beim Festival vertreten: Punch & Judy in Afghanistan. Martina Fries und Michael Liebler haben sich das bitterböse Figurenspiel am Sonntag im Erlanger Theater in der Garage angesehen. Gesprochen wird der Beitrag von Fabian Müller.

 

here we go  
AutorIn: Martina | Format: | Dauer: Minuten

Zweite Chance für Emil?

Der asoziale, arbeitslose Hooligan Emil hat das zweifelhafte Glück zu einer Reality Show eingeladen zu werden, die ihren Gästen eine zweite Chance anbietet. Für Emil heißt das, er darf als Assistent des Puppenspielers Nigel nach Afghanistan, wo dieser mit seinem "Kasperltheater" alliierte Soldaten unterhalten soll. Emil greift zu - nicht ganz freiwillig, wird ihm doch angedeutet, daß der Polizei demnächst seine Beiteiligung an einer Straftat bekannt werden könnte.

Doch die Afghanistan-Reise geht nicht gut für ihn aus. Bei einer Sightseeing-Tour nimmt das gemietete Kamel mit ihm auf dem Rücken reißaus und verschleppt ihn in die Wüste. Der herzensgute Nigel macht sich, besorgt um Emils Leben, auf die Suche nach seinem Assistenten.

Sein Weg durch Afghanistan wird mehr und mehr zum Horrortrip. Schließlich trifft er auf Kasperl - alias Bin Laden - und dessen Frau Gretel/Judy. Sein schlimmster Alptraum wird wahr.

Grandios in Szene gesetzte Dialoge

Punch & Judy, das sind die englischen Entsprechungen von Kasperl und Gretel. So lässt Neville Tranter auf der Bühne die Geschichte von Punch & Judy in Afghanistan im Stil eines Kasperl-Theaters entstehen. Alle Protagonisten, bis auf Nigel, sind Handpuppen mit markanten Gesichtern und großen, lebendigen Augen. In Form von grandios in Szene gesetzten Dialogen zwischen Nigel und seinen jeweiligen Ko-Akteuren werden diese Figuren von Tranter zum Leben erweckt.

Neville Tranter konfrontiert uns mit verschiedenen Formen der Abbildung von Realität: Da ist die Reality-Show, die den Rahmen der Handlung hergibt, da erleben wir die Reportage eines sensationslüsternen Fernsehreporters und da gibt es das Figurentheater, in das der Puppenspieler Nigel offensichtlich als handelnde Person hineingerät.

Das Krokodil verkauft Leichensäcke

Tranter bedient sich ausgiebig aus dem bekannten Repertoire des Kasperltheaters. Das fängt schon bei der Wahl der Figuren an. So tritt ein Shakespeare zitierender Teufel auf und das unvermeidliche Krokodil spielt die Rolle eines Leichensäcke verkaufenden Ägypters. Ebenfalls ins Genre passt, dass die Charaktere mit Zuschreibungen überladen sind und einem aufgesetzten Schema von Gut und Böse folgen. Das macht den Spass ja aus beim Kasperlspiel, dass man in den Charaktermasken zumindest vermeintlich die Typen der wirklichen Menschenwelt erkennen kann.

Tranter treibt dies allerdings so auf die Spitze, dass die ZuschauerInnen beim besten Willen die Klischees nicht mehr akzeptieren können, die ihnen da geboten werden. Dem kritischen Bildungsbürger bleibt das Lachen darüber im Halse stecken: Denn daran ist nichts mehr "pc". Der profitgierige afghanische Kameltreiber, dem ein Menschenleben schnurz ist, wenn er nur sein Kamel zurückbekommt, scheint der Phantasie eines Rassisten entsprungen zu sein. Und so gerne wir einem Bin Laden alles erdenklich Böse zutrauen: Dieser Bin Laden mit Hakennase, der nicht nur blutdurstig ist, sondern auch noch Menschen frisst, der hat beim besten Willen mit dem Wirklichen nichts gemein.

Der Puppenspieler hängt selbst an den Fäden

In der absurden Szenerie grotesker Gestalten, die zynisch reden und handeln, erscheint der Puppenspieler Nigel als die einzig normale und menschliche Figur, die auf seltsame Weise deplatziert wirkt. Bei seinen Bemühungen, das Schicksal Emils aufzuklären, wirkt er - obwohl als einziger von einem Menschen dargestellt - fast wie eine Marionette, deren Fäden vielleicht von den MacherInnen der Realityshow oder von dem blutgierigen BBC-Reporter gezogen werden.  Womöglich ist er aber auch zum Opfer seiner eigenen aus dem Gleis geratenen Imagination geworden, oder der unseren, der Imagination der ZuschauerInnen?

Punch & Judy in Afghanistan ist virtuos gespieltes Puppentheater, ein bitterböses Stück mit Hintersinn.

 

 

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